09.04.2014

Flugangstseminar

Jeder, der schon einmal die zweifelhafte Ehre hatte, mit mir einen Flug zu bestreiten, weiss von meiner Flugangst ... (Noch mal sorry an Mami, Uli, Leslie, Tanja, Corrie, Beat, Alain, Tobi, Patrick und Gubi!)

Im Lauf der Jahre ging es immer wieder auf und ab, bei Langstreckenflügen war ich generell etwas ruhiger (okay, nicht zu Beginn meines bisher – im Nachhinein – «schönsten» Fluges mit der Qantas, weil das Flugzeug so unglaublich alt und lädiert aussah, was die tollen Flugbegleiter jedoch mehr als wettmachten), bei Kurzstrecken in den kleinen «Höllenmaschinen» dafür umso panischer.

Nach unserem Malta-Flug im September war für mich dann ein Punkt erreicht, an dem ich mich entschieden habe, endlich etwas gegen die Angst zu tun. Und weil wir im Zuge der Rallye ebenfalls zweimal fliegen «dürfen», war es mehr als an der Zeit, es mit einem Flugangstseminar zu versuchen.

Ich meldete mich also an, und am 5. April gings um 8:45 Uhr los. Die statistischen 70 Prozent von Euch, die kein Problem mit dem Fliegen haben, wird es vielleicht weniger interessieren, was wir da so alles gemacht haben, aber nachdem mich bereits einige meiner «Flugangstkollegen» gefragt haben, was man bei einem Flugangstseminar so alles macht und ob es sich rentiert, werde ich etwas ausführlicher davon berichten. Vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen :)

Wie gesagt: Am Samstag gings zu eigentlich noch nachtschlafender Zeit los. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde unserer «Betreuer» – zwei Piloten, ein Flugbegleiter und eine Psychologin – machten wir eine Art Kennenlernspielchen und erzählten rundum, wovor wir genau Angst haben beim Fliegen. Spätestens da wurde uns bewusst, dass wir alle keinen Hau haben oder sonst irgendwie falsch ticken, denn die eigenen Befürchtungen wiederholten sich immer wieder in der Runde. Und das tat unglaublich gut: zu wissen, dass man nicht allein mit dieser Angst ist.
Im Anschluss daran stellte sich auch «unser» Pilot vor, und er beantwortete unsere Fragen, die wir zuvor mit dem Flugbegleiter gesammelt hatten (z. B. wie gefährlich Turbulenzen sind, was es mit dem Durchstarten bei der Landung auf sich hat, wie genau ein Flugzeug funktioniert, wie es mit der Sicherheit aussieht etc.).

Am Mittag ging es dann zum Flughafen für einen gemeinsamen Lunch, nach dem wir uns einen A330 von Nahem ansahen: erst von aussen, dann von innen. Die beiden Piloten erklärten uns jedes kleinste Teil, beantworteten uns jede noch so abstruse Frage, zeigten uns das Cockpit und all die Schalter und Hebel, die auf den zweiten Blick gar nicht mehr so kompliziert und verwirrend wirkten, und wir wandten die am Vormittag gelernten Entspannungsübungen an. Auch die Bordküche (und die Geräusche, die von ihr herrühren können) sowie alle Aufgaben der Besatzung wurden uns ausgiebig und sehr anschaulich demonstriert.





Im Anschluss ging es noch einmal zurück in unseren Seminarraum, um das Gesehene zu besprechen, weitere Fragen zu klären und uns schon einmal auf den am nächsten Tag folgenden Flug einzustimmen.

(Dass die Nacht recht kurz war, könnt Ihr Euch ja bestimmt denken ...)


Am Sonntag trafen wir uns zur gleichen Zeit wieder in unserem Seminarraum. Und wenn man so in die Runde schaute, waren wir doch alle etwas blass unter der Nase (okay, «blass» ist etwas untertrieben – wir hatten alle mega Muffesausen ...). Wir sprachen noch einmal über unsere grösste Angst, die wir in diesem Moment hatten, schrieben diese auf einen Zettel und suchten im Anschluss mit unserem Sitznachbarn nach Möglichkeiten, diesen Angstgedanken positiv zu formulieren, in etwa so: «Was ist, wenn eine Turbine ausfällt.» –> «Alle wichtigen Geräte im Flugzeug sind redundant vorhanden (bis zu sechsmal), auch mit nur einer Turbine kann ein Flugzeug fliegen.» Danach las jeder seine Kärtchen vor, und wir verrissen einer nach dem anderen demonstrativ unsere Angst-Zettel. Das mag etwas albern klingen, aber erstaunlicherweise half es, sich wieder etwas zu beruhigen. Die «positiven Zettel» kamen mit in den Flieger.
Die Sitzplätze für den Hin- und Rückflug nach Kopenhagen am Nachmittag wurden verteilt, wir lernten noch zwei Notfallübungen, um bei Bedarf schnell aus der Angstspirale herauszukommen, und nach einer kurzen Stärkung ging es dann auch schon zum Flughafen – zu Fuss, um noch ein bisschen Adrenalin abzubauen. Leider hatten wir unterwegs einen der Kursteilnehmer «verloren» – er hatte es nicht geschafft, den Mut aufzubringen, mit ins Flugzeug zu steigen ...

Äusserst entspannend war, dass wir uns um nichts zu kümmern brauchten, denn unser Flugbegleiter erledigte alles für uns. Wir mussten ihm einfach nur hinterhertrotten – ein bisschen wie die Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden. Zumindest fühlten wir uns in diesem Moment so. Aber gleichzeitig hatte das Ganze auch etwas von einem Klassenausflug – wahrscheinlich, weil unsere Gruppe recht gut funktionierte und wir uns eher gegenseitig aufbauten als weiter runterzuziehen.

Wir kamen uns schon fast wie VIPs vor (oder wären uns so vorgekommen, wenn wir einen klaren Gedanken hätten fassen können), denn wir durften noch vor Business Class in den Flieger (der A320 «Bassersdorf», leider jedoch nicht mit «unseren» Piloten), wurden von einem der Piloten und der Crew persönlich begrüsst, was ebenfalls etwas beruhigte. Wir nahmen unsere Sitzplätze ein und warteten mehr ver- als gespannt darauf, dass es nun endlich losging.

Ich persönlich war zwar nahezu in der gleichen Verfassung wie vor all meinen anderen Flügen, aber ich kämpfte dagegen an, mich wie üblich an meinem Sitz festzukrallen (Ulis Oberschenkel stand ja gerade nicht zur Verfügung). Auf Anraten unseres Flugbegleiters, der – zusammen mit der Psychologin – ebenfalls bei uns sass, versuchte ich, mich zurückzulehnen, statt panisch aus dem Fenster und auf die Flügel zu starren. Und ich schaffte das Zurücklehnen auch für kurze Zeit, was ich schon einen enormen Fortschritt fand.

Was mir – und auch den anderen – wohl am meisten half, war unser toller Flugbegleiter, denn sobald ein Geräusch auftauchte (teilweise schon zuvor), erklärte er uns sofort, woher es kommt. Wenn es irgendwo wackelte oder vibrierte (was es ja immer irgendwo macht), kam – ohne, dass wir ihn fragen mussten – umgehend sein Kommentar, was da gerade passiert. Und da wir am Tag zuvor all das mit den Piloten besprochen hatten, konnten wir auch alles plus/minus zuordnen. Es war nicht nur interessant, sondern auch beruhigend und ablenkend. Ich glaube, unser Flugbegleiter musste uns ungelogen im Schnitt alle fünf Minuten bestätigen, dass alles okay ist, dass die Geräusche genau so sein müssen, dass sich alles normal anfühlt etc. Und er war dabei unglaublich ruhig und geduldig, er trocknete so manche Träne oder beschäftigte uns, indem er mit uns in die Bordküche am Heck ging, um uns zu zeigen, wie sehr es dort schaukelt, aber nichts passiert, er liess ein paar von uns zur Ablenkung sogar Schoggi verteilen (ja, es war ein Swiss-Flug ;)) oder unterhielt sich einfach mit uns über die Luftfahrt.

All das und der Pilotenteil schafften es, dass wir alle mit jeder Minute in der Luft ruhiger wurden. Ich dachte sogar daran, ein Foto zu machen, weil ich endlich mal wieder von der Aussicht begeistert war (!) und nicht nur den Flügel beobachtet, um mich zu vergewissern, dass er auch wirklich hielt, die Turbine nicht zu brennen begann etc. pp.


Bei der Landung waren wir dann zwar alle wieder etwas unruhiger, aber auf alle Fälle ruhiger als beim Start eineinhalb Stunden zuvor. Diejenigen unter uns, denen es bereits besser ging, warteten gespannt, ob der Pilot den A320 hart oder weich aufsetzen würde, denn – so hatten wir es am Vortag gelernt – man bevorzugte eigentlich eine etwas härtere Landung; schliesslich möchte man ja, dass das Flugzeug auch unten bleibt, wenn es mal Bodenkontakt hatte. Aber unser Pilot meisterte das vorzüglich und setzte mit einem spürbaren, aber nicht unangenehmen kleinen Rucker auf.

In Kopenhagen angekommen, hatten wir gerade einmal ein Viertelstündchen, um uns die Beine etwas zu verteten, bis wir – dieses Mal als Letzte – wieder an Bord der gleichen Maschine gingen.


Dieses Mal bekam ich vom Start fast nichts mit, weil unser Flugbegleiter neben mir sass, den ich mit Fragen löcherte und der daraufhin ein bisschen aus seinem interessanten Nähkästchen erzählte. Selbst mein durch die Flugangst verzerrter Blickwinkel schien sich dadurch zu ändern, denn auf einmal kam mir der Winkel, den unser Flieger beim Start hatte, gar nicht mehr so beängstigend steil vor wie beim Hinflug. Und die Nachfrage bei unserem Flugbegleiter bestätigte, dass der A320 gleich steil stieg wie zuvor.

Während des Rückflugs wagte ich es sogar, mich von meinem Platz zu erheben, was ich sonst mied wie der Teufel das Weihwasser. Aufs WC traute ich mich zwar nicht (man muss ja schliesslich noch Ziele haben!), aber immerhin ging ich mit einer anderen Teilnehmerin und unserem Flugbegleiter nach hinten in die Küche – und just in dem Moment kam auch ein Windstoss, der den Flieger kurz wackeln liess. Doch statt in meine gewohnte Panikstarre zu verfallen und uns alle abstürzen zu sehen, zuckte ich nur kurz, amüsierte mich aber gleich im Anschluss über das besorgte Gesicht der beiden neben uns stehenden Flugbegleiterinnen (nicht wegen des Windstosses, sondern wegen uns) und die vollkommen gelassene Haltung unseres Flugbegleiters. Ich konnte es selbst nicht fassen ...

Die Zeit verging wie im Flug (haha!), und die Landung juckte mich nicht die Bohne. Eine Teilnehmerin rief sogar «Und jetzt bitte einmal durchstarten!» – womit sie eigentlich recht hatte, denn dann hätten wir das auch gleich noch mitgenommen. Im Nachhinein war es fast etwas schade, dass wir keine Turbulenzen hatten, wo wir schon mal einen persönlichen Erklärer mit an Bord gehabt hätten. Aber ich hoffe, dass ich mir, wenn ich bei der nächsten Turbulenz ohne unseren Sämi fliege, bewusst machen kann, was genau passiert, und in meinem Kopf genau das abrufen kann, was wir im Seminar gelernt haben.

Zurück in unserem Seminarraum waren wir alle äusserst ausgelassen und konnten kaum glauben, dass wir zum einen gerade in Kopenhagen waren und zum anderen wieder wohlbehalten zurückgekommen sind. Es gab noch eine kleine Austauschrunde, in der jeder erzählte, wie er den Flug erlebt hat, wir bekamen noch eine Urkunde, eine Swiss-Aviation-Training-SIGG-Flasche und ein Päckchen Swiss-Schoggi, bedankten uns ganz besonders bei unserem Flugbegleiter und der Psychologin, stiessen auf unseren Erfolg an, tauschten Kontaktdaten und machten uns stolz strahlend auf den Nachhauseweg.




Fazit: Das Seminar war auf jeden Fall sein Geld wert. Den ersten Flug konnte ich zum Teil, den zweiten fast komplett geniessen (also so wirklich geniessen, nicht einfach nur über mich ergehen lassen). Nie hätte ich gedacht, dass das überhaupt irgendwann mal möglich sein könnte – ein wirklich krasses Gefühl. Momentan bin ich von etwas wie Flugfaszination gepackt und kann zum ersten Mal Sven, Isabel und Co. verstehen, die am liebsten jeden Tag fliegen würden. Wenn mir jetzt jemand sagen würde: «Komm, lass uns nach XY fliegen!» – ich wäre sofort dabei. Unglaublich, aber wahr. Hätte ich eher gewusst, was so ein Flugangstseminar mit mir macht, hätte ich es mir schon vor Jahren gegönnt und hätte mir – und ganz besonders meinen Mitfliegenden – damit so einiges erspart ... Nun bin ich gespannt, wie mein nächster Flug wird, momentan freu ich mich noch drauf :)

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